Lockdown und Philosophie

Der Lockdown stellt eine Krisensituation dar. Es hängt von uns ab, ob wir an dieser Situation verzweifeln oder sie vernünftig bewältigen. Die Philosophie kann uns dabei helfen, die Situation zu meistern. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die stoische Philosophie. Mit ihrer Hilfe können wir die „stoische Haltung“ erlangen. Die Emotionen, die durch den Lockdown hervorgerufen werden, z.B. Angst, Wut oder Verzweiflung, sollten uns nicht beherrschen. Wir könnten diesen Emotionen mit Gelassenheit begegnen oder sie erst gar nicht aufkommen lassen. Folgen wir einigen Gedanken des Stoikers Epiktet.

Der griechische Philosoph wurde um 50 n. Ch. geboren. Er war der Sohn einer Sklavin und wurde nach Rom selbst als Sklave verkauft. Sein Herr Epaphroditos hat ihn jedoch freigelassen. Epiktet empfing seine philosophische Ausbildung bei Musonius Rufus in Rom. Nach der Ausbildung wurde er selbst Lehrer der Philosophie in Rom, bis er und andere Philosophen 94 auf Befehl des Kaisers Domitian aus Italien vertrieben wurden. Er floh nach Nikopolis (Westgriechenland), wo er bis zu seinem Tod um 135 Philosophie lehrte.

Epiktet hat – ähnlich wie Sokrates – selbst nichts geschrieben. Seine Lehrgespräche „Diatriben“ wurden von seinem Schüler Arrian aufgezeichnet. Die wichtigsten Lehrsätze hat Arrian im „Encheiridion“ (entst. um 100 n.Chr.; dt. „Handbüchlein“, 1799/1800) zusammengestellt, das bis heute in nicht nur philosophischen Kreisen mit großem Interesse gelesen wird und eines der wichtigsten ethischen Bücher darstellt.

Epiktet ist einer der bedeutendsten Vertreter der Stoa, einer geistigen Strömung, die von 300 v. Ch. bis 300 n. Ch. eine einflussreiche Rolle im geistigen Leben der Antike spielte. Epiktet ist neben Seneca und Marcus Aurelius der wichtigste Vertreter der sog. Jüngeren Stoa, die als herrschende Philosophie der Spätantike bezeichnet werden kann.

Auf die Stoiker geht die Dreiteilung der Philosophie in Logik, Physik und Ethik. Das Hauptgewicht des Philosophierens legt Epiktet auf die Ethik. Sie ist die Lehre von der Lebenskunst und soll den einzelnen Menschen zur Glückseligkeit führen. Der Einzelne ist Teil einer übergreifenden, göttlichen Ordnung. Und nur weil er teil an dem Göttlichen, genauer: an der göttlichen Vernunft, hat, kann er das Göttliche überhaupt erkennen.

Epiktet unterscheidet streng zwischen Dingen, die in meiner Gewalt stehen, und Dingen, die nicht in meiner Gewalt stehen. Zu den ersteren gehören: mein Denken, mein Tun, mein Begehren und mein Meiden. Zu den letzteren Dingen gehören: mein Leib, meine Habe, mein Ansehen und meine äußere Stellung.

Was in meiner Gewalt steht, ist (für mich) frei, was nicht in meiner Gewalt steht, ist hinfällig, von anderen Menschen abhängig. Wenn ich das begehre, was nicht in meiner Gewalt steht, so werde ich unglücklich, weil ich das Begehrte oft nicht erhalten kann. Und auch wenn ich es erhalte, kann es mir von anderen abgenommen werden.

Eine weitere wichtige Unterscheidung, die Epiktet trifft, ist die zwischen Dingen und den Vorstellungen von den Dingen. Nicht die Dinge selbst sind es, die die Menschen beunruhigen, sondern die Vorstellungen von den Dingen. So ist z. B. der Tod nichts Schreckliches (er ist eine Naturnotwendigkeit), sondern unsere Vorstellung (man würde heute auch sagen: unsere Einstellung, Deutung bzw. Interpretation), er sei etwas Schreckliches, ist das Schreckliche.

Wie der Einzelne etwas auffasst, hängt alleine von ihm ab. Ob er z. B. eine Äußerung als eine Kränkung, Beleidigung oder harmlose Bemerkung auffasst, ist alleine die Sache seiner Interpretation. Es hängt auch alleine von ihm ab, wie er auf eine Äußerung reagiert. Die Ursache für das Unglücklichsein, Betrübtsein usw. sollte der Einzelne nicht in den Dingen bzw. in anderen Menschen, sondern in sich selbst, in seinen Vorstellungen über die Dinge bzw. Menschen suchen.

Ein weiterer Grundsatz von Epiktet besagt, dass man auf die Anerkennung der Anderen verzichten sollte. Wenn man anderen Menschen gefallen will, auf die Meinungen der Anderen angewiesen ist, so hat man den eigenen Halt verloren. Damit beschreibt Epiktet das Grundideal der stoischen Ethik, das in völliger Unabhängigkeit und Selbstgenügsamkeit des Einzelnen besteht.

Das Leben des Weisen zeichnet sich durch die Unerschütterlichkeit der Seele (Seelenruhe) (griech. „ataraxia“) und die Beherrschung der Affekte und Leidenschaften (griech. „apatheia“) aus. Unabhängigkeit, Selbstgenügsamkeit, Unerschütterlichkeit der Seele und Beherrschung von Affekten und Leidenschaften machen ein glückliches Leben aus.

Epiktets Lehre hat stark auf die spätantike Philosophie und das Christentum gewirkt. Angeregt von Epiktets Gedanken wurden u. a. Spinoza und Goethe.

Aus: Alexander Ulfig, Große Denker, Print-Ausgabe, Kindle-Ausgabe, 2015.

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