Psychologische Hilfe im Lockdown

Im Lockdown leiden immer mehr Menschen unter Ängsten, Depressionen und Vereinsamung. Auch eine Sinnleere tritt als Folge der leidenden Psyche ein. Der österreichische Psychologe und Psychiater Viktor Frankl ist der Begründer der Logotherapie. Sie hilft dabei, krisenhafte Situationen zu bewältigen.

Frankl wurde am 26. 3. 1905 in Wien geboren. Bereits in seiner Schulzeit stand er in Kontakt mit S. Freud und A. Adler. Er studierte Medizin und promovierte in diesem Fach 1930. Von 1931 bis 1932 machte er eine neurologische Ausbildung. 1937 eröffnete Frankl als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie eine Praxis. Von 1940 bis 1942 leitete er die neurologische Station am Rothschild-Spital in Wien. Von 1942 bis 1945 wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft in verschiedene Konzentrationslager (u. a. Auschwitz) deportiert. Aus den Erfahrungen in Konzentrationslagern zog Frankl wichtige Konsequenzen für die Gestaltung seiner Theorie. Er konnte seine Situation im Lager psychisch dadurch verkraften, dass er sich von sich selbst, von seinem Leiden distanzierte, indem er in Gedanken seine Situation zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Betrachtung machte, diese Situation verobjektivierte. Seine Erlebnisse in Konzentrationslagern beschrieb er in dem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ (1946). Nach dem Krieg habilitierte sich Frankl mit der Arbeit „Ärztliche Seelsorge“ (1946). 1955 wurde er Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien, 1970 Professor für Logotherapie an der U. S. International University of San Diego (Kalifornien). Er starb am 2. 9. 1997 in Wien.

Frankl ist der Begründer der Logotherapie (auch Existenzanalyse genannt). Er gilt auch als Vater der „Dritten Wiener Richtung der Psychotherapie“ neben der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers. Nach Frankl leiden die Menschen heute hauptsächlich unter einer „existenziellen Frustration“. Sie drückt sich in dem Gefühl der Sinnlosigkeit aus, in dem Gefühl, dass es keinen Lebenssinn gibt.

Unter „Sinn“ versteht Frankl eine konkrete Aufgabe, die den einzelnen Menschen erfüllt und ihm eine Richtung im Leben gibt. In einer Logotherapie wird dem Patienten dazu verholfen, solche Aufgabe(n) zu finden. Hat er eine solche Aufgabe gefunden, so ist er dazu fähig, Widerstand gegenüber vielen psychischen Erkrankungen zu entwickeln und extreme Lebenssituationen zu bewältigen.

Entscheidend ist dabei, dass sich der Patient nicht zu stark mit sich selbst, mit seinen inneren Zuständen, beschäftigt (die permanente Selbstbeschäftigung ist für den neurotischen Menschen kennzeichnend). Er soll statt dessen von sich selbst absehen und sich „nach außen“ richten. Die Hingabe an externe Aufgaben oder andere Menschen wird von Frankl als Selbsttranzendenz bezeichnet. Sie macht die Grundbestimmung des Menschen aus.

Frankl unterscheidet zwischen drei Dimensionen: der physischen (biologischen), psychischen (mentalen) und geistigen (noetischen). Die geistige Dimension ist eigenständig und kann nicht vollständig auf die beiden anderen reduziert werden. Das Geistige als Ort der Freiheit ermöglicht es dem Menschen, Distanz zu sich selbst oder zu bestimmten krankhaften Symptomen zu gewinnen.

Frankl entwickelt zu therapeutischen Zwecken zwei Techniken: die Dereflexion und die paradoxe Intention. Die Technik der Dereflexion besteht aus zwei Schritten. Im ersten Schritt soll der Patient vom Kreisen um die eigenen krankhaften Symptome (z. B. Ängste, zwanghaftes Verhalten) wegkommen. Er wird dazu befähigt, die Symptome zu ignorieren. Dies verhilft ihm, von sich selbst, von seiner Innenwelt, abzusehen. Es genügt jedoch nicht, an sich selbst nicht zu denken. In einem zweiten Schritt wird dem Patienten geholfen, positive und sinnvolle Aufgaben in der Außenwelt zu finden und zu realisieren.

Die Technik der Dereflexion wird durch die der paradoxen Intention ergänzt. Frankl geht davon aus, dass das Verhalten neurotischer Menschen einen paradoxen Charakter hat: Je mehr der Einzelne nach etwas strebt, je intensiver er sich etwas wünscht, um so mehr verfehlt er es schon. Beim zu intensiven Wunsch entsteht die Erwartungsangst, der Wunsch könnte fehlschlagen und die Symptome, die man aufheben möchte, könnten wieder auftreten.

An dieser Stelle wird die Technik der paradoxen Intention eingesetzt. Der Patient wird angewiesen, genau das zu beabsichtigen, wovor er sich fürchtet. Leidet der Patient unter Schlafstörungen und hat Angst davor, nicht einzuschlafen, so wird er angewiesen, die ganze Nacht wach bleiben zu wollen. Die Angst wird damit ad absurdum geführt. Mittels der paradoxen Intention soll der Patient dazu befähigt werden, die Angst zu ironisieren und sich dadurch von ihr zu distanzieren.

Die paradoxe Verhaltensweise ist Frankl zufolge auch für das Streben nach Lust, Glück uns Selbstverwirklichung kennzeichnend: Je mehr der einzelne Mensch nach Lust, Glück oder Selbstverwirklichung strebt, um so mehr verfehlt er diese Ziele auch schon. Lust, Glück und Selbstverwirklichung sollen daher keine Ziele des Handelns sein. Sie können sich nur als dessen Nebeneffekte ergeben.

Aus: Alexander Ulfig, Große Denker, Kindle Ausgabe, Print Ausgabe 2015.

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