Der Materialismus von La Mettrie

La Mettrie (1709 – 1751) ist einer der wichtigsten Vertreter des Materialismus der französischen Aufklärung. Seine Philosophie basiert auf medizinischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit. Als Schüler von Boerhaaves war er mit dem neuesten medizinischen Forschungsstand seiner Zeit gut vertraut.

Für La Mettrie ist die Materie das Fundament der gesamten Wirklichkeit. Alles was existiert, hat einen materiellen Ursprung. Die Materie wird als eine Substanz bestimmt, die selbständig und ewig ist, die jedoch der Veränderung unterliegt. Ihre zwei wichtigsten Eigenschaften sind Ausdehnung und Bewegung. Die Annahme eines außerweltlichen unbewegten Bewegers, der das Weltgeschehen in Gang setzt, wird von La Mettrie abgelehnt. Der Materie wohnt die Fähigkeit zur Bewegung inne. Sie wird auch als formgebend bestimmt. Die Formen werden ihr also nicht von außen aufgeprägt, sondern aus ihr heraus hervorgebracht.

Auch der Mensch ist ein Teil der materiellen Welt. Er ist eine „lebende Maschine“, d. h. ein Mechanismus, der rein materieller, genauer: physiologischer, Natur ist. La Mettrie lehnt die von Descartes vertretene Trennung zwischen einer denkenden (rein geistigen) und einer ausgedehnten (materiellen) Substanz. Es gibt ihm zufolge keine selbständige denkende Substanz. Der Körper (die Maschine) ist das Fundament des Denkens bzw. der Seele. Das Geistige ist nur ein Ausdruck bzw. eine Funktion des Materiellen.

Der Mensch als Maschine besitzt Empfindungs- und Denkfähigkeit. Der Grad der Empfindungs- und Denkfähigkeit hängt von dem Grad der Komplexität des Organismus ab. Auch Tiere, die von La Mettrie ebenfalls als Machinen betrachtet werden, besitzen Empfindungs- und Denkfähigkeit. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier. Der Unterschied ist nur gradueller Art. Der menschliche Organismus ist komplexer als der tierische, die Organisation seines Körpers feiner. In diesem Zusammenhang behauptet La Mettrie, dass der Mensch keine Willensfreiheit besitzt.

Erkenntnistheoretisch vertritt La Mettrie in Anlehnung an J. Locke den Sensualismus, eine Lehre, der zufolge die sinnliche Wahrnehmung die einzige Quelle der Erkenntnis ist. Nur aufgrund von Beobachtungen können wir zu sicheren Erkenntnissen gelangen. Die Annahme von „angeborenen Ideen“ wird von La Mettrie abgelehnt. Gegenstand der Erkenntnis ist ausschließlich die materielle Welt.

Die Beschaffenheit und das Verhalten des Menschen können am besten mit Hilfe der Anatomie und Physiologie erkannt werden. Daher schreibt La Mettrie der medizinischen Forschung eine ausgezeichnete Rolle zu. In ihr herrscht die Methode der Beobachtung als Grundlage der Erkenntnis. Allerdings verweist er darauf, dass zum Erkenntnisapparat die Verstandestätigkeit hinzutreten muss. Die sinnliche Wahrnehmung, in der die Welt (äußere Wirklichkeit) abgebildet wird, und der Verstand müssen miteinander harmonisieren.

In seinen ethischen Überlegungen ist La Mettrie ein Vertreter des Hedonismus, wonach die Lust das höchste Gut des Menschen und das Ziel des Handelns ist. Ein Mensch ist dann glücklich, wenn er die höchstmögliche Lust erreicht. Dies kann sowohl die sinnliche als auch die geistige Lust sein.

Da La Mettrie den Gedanken der Unsterblichkeit der Seele ablehnt, soll der Mensch im Diesseits nach höchstmöglicher Lust und nach Glück streben. Lustempfinden hängt aber in hohem Maße vom Zustand des Körpers ab. So können eigentlich nur in einem einigermaßen gesunden Körper lustvolle Empfindungen entstehen.

Der Mensch gehört zum Tierreich, er ist ein hochentwickeltes Tier, das keine angeborenen moralischen Prinzipien hat. Normen, Werte und praktische Gesetze müssen erst aufgestellt werden, damit ein geregeltes Zusammenleben zustande kommen kann. Es gibt keine ewigen, absoluten Werte bzw. moralische Prinzipien. Sie ändern sich und sind von Gemeinschaft zu Gemeinschaft verschieden. Ziel des gemeinschaftlichen Zusammenlebens ist eine gerechte Rechtsordnung, die von der Mehrheit der Bürger getragen werden muss. Verstößt ein Herrscher gegen eine solche Rechtsordnung, kann er abgesetzt werden.

La Mettrie ist ein radikaler Atheist. Er verneint die Existenz Gottes. Sein Atheismus folgt aus der materialistisch-mechanistischen Weltsicht. Moralisches Handeln ist auch ohne den Glauben an einen Gott möglich. Religionen verhindern die Entwicklung der Wissenschaft und verursachen – z. B. durch Glaubenskriege – Leid und Not. Lust und Glück können die Menschen nur in der Abkehr von Religionen erreichen. Ziel der geschichtlichen Entwicklung wäre eine Gesellschaft, in der der Atheismus herrschen würde.

La Mettrie hatte einen großen Einfluss auf den Materialismus der französischen Aufklärung. Angeregt durch seine Gedanken waren u. a. Diderot, Holbach und Helvétius. Erkennbar ist sein Einfluss in der materialistisch ausgerichteten Naturforschung des 19. Jh. (z. B. bei Helmholtz). Quelle: Alexander Ulfig, Große Denker

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