Stereotype und Fließbandforschung. Wie Genderismus die Kultur verwüstet
Ein Gastbeitrag von Prof. Adorján F. Kovács
Die Gender-Mainstreaming genannte Ideologie hat längst auch den Kulturbereich erfasst und soll dort langfristig etabliert werden. Zum Erreichen der Nachhaltigkeit des Einflusses dieser Ideologie werden strukturelle Änderungen an den relevanten Ausbildungsstätten politisch durchgesetzt. Gleichstellungsmaßnahmen an den Universitäten wie Hochschulen und Gleichstellungsaktivitäten im Kulturbereich gehen parallel vonstatten, aber erstere zielen darauf, durch Produktion von Professuren für Frauen mit Genderprofil wiederum Frauen und Männer auszubilden, die diesen Gedanken in den Kulturbereich tragen, um ihn auch dort dauerhaft zu verankern.
Die Gender-Offensive an den Hochschulen
Die Einstellung von Gleichstellungsbeauftragten an allen Universitäten infolge des von der Rot-Grünen Bundesregierung beschlossenen Bundesgleichstellungsgesetzes war noch nicht genug. Die CDU hat die Gender-Offensive aus der Großen Koalition ungebremst in die Schwarz-Gelbe Bundesregierung übertragen. Im November 2007 haben Bund und Länder auf der Sitzung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung in Bonn ein Programm beschlossen, das in den folgenden fünf Jahren 200 neue Stellen für Professorinnen an den deutschen Hochschulen schaffen sollte. Dafür stellt das Bundesministerium für Bildung und Forschung insgesamt 75 Millionen Euro zur Verfügung, die Länder beteiligen sich anteilig an dem Gesamtvolumen von 150 Millionen Euro. Der Bund zahlt das Gehalt von Frauen, die als Lehrstuhlinhaberinnen oder außerordentliche Professorinnen berufen werden. Die Länder als Träger der Universitäten setzen die frei werdenden Personalkosten sowie weitere Mittel ein, um Maßnahmen zur Gleichstellung zu bezahlen. Die geförderten Stellen sollen in der Regel Vorgriffsprofessuren sein – die neu geschaffenen Stellen werden also eine Zeit lang parallel zu Stellen von Professorinnen oder Professoren existieren, die kurz vor der Emeritierung stehen. Die Nachfolge ist aber auf jeden Fall weiblichen Geschlechts. Aber auch bei Regelberufungen kann unter bestimmten Voraussetzung eine Förderung, d. h. die einseitige Bevorzugung von Frauen, erfolgen. Mit anderen Worten: Männer haben bei diesen Bewerbungen von vorneherein keine Chance und sollen sie ganz offiziell auch nicht haben.
Die Rhetorik der Gleichstellung
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), in deren Ministerium das Professorinnen-Programm entwickelt wurde, betonte mit folgenden Worten die Bedeutung des Programms für die deutsche Wissenschaftslandschaft. Das Zitat soll die offizielle Rhetorik demonstrieren: »Hochqualifizierte und talentierte Wissenschaftlerinnen gehören in die Spitzenpositionen von Wissenschaft und Forschung. Mit dem Professorinnenprogramm gelingt es, die Anzahl von Frauen auf Professuren deutlich zu erhöhen und dem weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs Leitbilder für die eigene Karriere zur Verfügung zu stellen. Wir haben damit ein nachhaltiges Instrument zur Förderung von Spitzenwissenschaftlerinnen gewonnen. Die geförderten Stellen sind unbefristet, und das Verfahren stärkt zugleich die Gleichstellungsaktivitäten von Hochschulen«. Unbefristete Stellen – wo gibt es das heute schon? Das kann man wohl nachhaltig nennen. Auch der Vorsitzende der Bund-Länder-Kommission (BLK) für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner, war voll des Lobes: „Ich begrüße das Professorinnenprogramm der BLK ganz außerordentlich. Es ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Wissenschaftsratsempfehlungen Chancengleichheit von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vom Juli 2007 und unterstützt die Offensive für Chancengleichheit von Deutscher Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, Max-Planck-Gesellschaft und Leibniz-Gemeinschaft.“ Was der Begriff der Chancengleichheit hier zu suchen hat, ist unerfindlich. Die Aufzählung der verschiedensten wissenschaftlichen Gremien zeigt aber, wie breit bereits die Ideologie der Gleichstellung durchgesetzt ist.
Die Manipulation der Bewertung
Hochschulen – Universitäten, Fachhochschulen und künstlerische Hochschulen – sollten auf der Grundlage einer positiven Begutachtung ihres Gleichstellungskonzeptes die Möglichkeit erhalten, bis zu drei Berufungen von Frauen auf unbefristete W2- und W3-Professuren für fünf Jahre mit einem Betrag von bis zu 150.000 Euro pro Jahr finanziert zu bekommen. Das ist nichts anderes als finanzielle Erpressung: Richtet Stellen nur für Frauen ein und ihr bekommt Geld. Die Begutachtung erfolgte durch ein „externes Expertengremium“ aus Wissenschaft, Forschung und Hochschulmanagement. Dieses 15-köpfige Gremium, das über die 113 schließlich eingereichten Gleichstellungskonzepte der Universitäten und Hochschulen und ihre Aufnahme ins Programm befunden hat, wurde geleitet von Susanne Baer, Professorin an der Juristischen Fakultät und dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt Universität zu Berlin. Extern war das Gremium vielleicht, aber sicher nicht neutral.
Im September 2008 stellte Frau Schavan dann 79 Universitäten und Hochschulen vor, die Konzepte vorgelegt hatten, wie sie die Chancen von Frauen auf eine wissenschaftliche Karriere nachhaltig verbessern wollten. Das „Wie“ war aber schon von vorneherein beantwortet: indem sie Männer von den Bewerbungen ausschließen. “Entscheidend ist nicht die Zahl, sondern der Schub”, sagte Schavan. Von 38.000 Professoren in Deutschland sei nur jede sechste weiblich. Während zu Studiumsbeginn Frauen leicht in der Mehrzahl sind, schrumpfe ihr Anteil bis zur Promotion auf 40 Prozent. Die Gruppe, die es bis zur Berufung schaffe, sei seit 2005 von 14 auf 16 Prozent gewachsen. Schavan strebt 25 Prozent als nächstes Ziel an. Bei positiver Bewertung des Professorinnenprogramms im laufenden Jahr 2011 durch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz – die selbstverständlich erfolgen wird – besteht die Möglichkeit der Fortschreibung des Programms. Daran dürfte bei der Zusammensetzung der Wissenschaftskonferenz – sie ist ähnlich der der Bund-Länder-Kommission – nicht der geringste Zweifel bestehen.
Welche Folgen hat nun diese einseitige Förderung im Kulturbereich? Wie geht die Saat auf? Dies soll an drei Beispielen aus der Literatur, der Malerei und der Musikwissenschaft verdeutlicht werden.
Beispiel Literaturbetrieb
Im Jahre 2010 jährte sich der Todestag des großen russischen Dichters zum 100. Mal. Es fiel aber auf, dass nicht etwa Lew Tolstoj gefeiert wurde, sondern vielmehr seine Frau Sofja Tolstaja. Der Dichter, dem früher preisend nachgesagt wurde, den Frauen bis auf den Grund ihrer Herzen schauen zu können, war auf einmal des Verbrechens schuldig, “erbärmliche Frauenfiguren” geschaffen zu haben, wie Helen Mirren, die englische Schauspielerin, in einem Interview zum Tolstaja-Film “Ein russischer Sommer” sagte (und doch immerhin Anna Karenina von diesem Urteil ausnehmen musste). Ferner ist er nicht hinter seine angeblich geniale Frau zurückgetreten, sondern hat die patriarchalische Unverschämtheit besessen, unbeirrt ein gigantisches Werk zu schaffen, das jetzt in einer neuen russischen Gesamtausgabe in 100 Bänden herausgegeben werden soll.
Diese neue Sichtweise wurde von langer Hand vorbereitet. Bereits 2008 war Sofja Tolstajas Buch „Eine Frage der Schuld“ auf deutsch bei Manesse veröffentlicht und sogleich als eine Offenbarung gepriesen worden. Es ist als eine Antwort auf die berühmt-berüchtigte „Kreuzersonate“ ihres Mannes Lew Tolstoj entstanden. Felicitas von Lovenberg zum Beispiel lobte die Geschichte des Buches in der „FAZ“ als „packend geradlinig und mit solch psychologischem Gespür [erzählt], dass man ihr gebannt folgt.“ In der Summe folgerten die meisten Rezensentinnen und Rezensenten, dass Frau Tolstaja nun endlich auch einen verdienten Platz in der Weltliteratur einnehmen könne. Konsequent erschien im Jahr darauf, von der Herausgeberin des Tolstaja-Buches, Ursula Keller, zusammen mit Natalja Sharandak verfasst, eine Biografie von Sofja Tolstaja im Insel-Verlag, die die definitive Heiligsprechung Frau Tolstajas betrieb (“Ein Leben an der Seite Tolstojs”). Das Faktum der offensichtlichen Diskrepanz zum Werk Lew Tolstojs wurde ohne Wimpernzucken in Kauf genommen. Zeitgerecht im Jubiläumsjahr des Ehemannes wurde schließlich bei Manesse noch ein weiterer kleiner Roman der Ehefrau nachgeschoben („Lied ohne Worte“).
Das Stereotyp der übersehenen hochbegabten Frau
Der Klappentext des Tolstaja-Buches „Eine Frage der Schuld“ verwies auf die tieferen Intentionen des Verlags und der Herausgeberin. „Dass hochbegabte Frauen im Schatten hochbegabter Männer stehen, ist nichts Außergewöhnliches. Dem Angebeteten zuliebe leisten sie Verzicht, werden im besten Fall zu Musen, im schlechtesten zu Haushälterinnen.“ Diese begabten, aber von ihren Männern unterdrückten Frauen sollen nun um jeden Preis aus deren Schatten hervorgeholt werden. Es wundert nicht, dass Frau Keller nach einem Studium der Slavistik und Germanistik zahlreiche Aufsätze zur Genderforschung in der Slavistik verfasst hat.
Damit aber nicht genug. Das Duo Keller/Sharandak hatte sein Thema gefunden und machte weiter: Der Briefwechsel zwischen den Eheleuten Tolstoj erschien unter ihrer Herausgeberschaft bei Insel. Aus dem Vorwort: “Ihr Briefwechsel spiegelt nicht nur die Höhen und Tiefen ihrer schwierigen Liebe, sondern zeigt auch die Schriftstellergattin als außergewöhnliche Persönlichkeit.” In diesem Tenor sind auch die Kommentare gehalten, die den Kampf um die Entscheidung Tolstojs, was mit seinem Erbe passieren, genauer, wer die Rechte an seinem Werk bekommen sollte, einseitig zugunsten Sofja Tolstajas auslegen, die angeblich ein Recht auf die finanziellen Gewinne hatte. Als hätte der Autor Tolstoj nicht das Recht gehabt, alle seine Werke – es war ja sein geistiges Eigentum! – in den Gulli zu werfen, wenn er das denn so haben wollte.
Zuletzt haben Ursula Keller und Natalja Sharandak auch die gute Tolstoj-Biografie Janko Lavrins bei den erfolg- und einflussreichen Rowohlt-Monographien abgelöst – die totale Machtübernahme gegenüber dem wehrlosen Autor. Es ist wie eine späte Rache der Genderforscherinnen an der übermächtigen Schöpferkraft dieses Mannes. Für lange Jahre haben sie nun nicht mehr nur die Deutungshoheit über die Ehefrau, sondern auch über den bedauernswerten Dichter errungen. Die ganze Deutungshoheit? Nein! Hoch im Norden hat ein unbeugsamer Norweger, der Vize-Präsident der Internationalen Dostojewski-Gesellschaft Geir Kjetsaa eine Biografie Tolstoijs geschrieben, die erfrischend frei ist von den verqueren Zwängen deutscher Genderideologie, ohne darum Tolstojs Frau ins Unrecht zu setzen. Es kann nach der feministischen Intoxikation gewissermaßen als Antidot gelesen werden. 2001 ist das Werk beim Casimir Katz Verlag, Gernsbach, erschienen („Lew Tolstoj. Dichter und Religionsphilosoph“); es ist in Deutschland nie besonders propagiert worden. Warum nicht, muss man nicht lange erraten. Alles, was Sofja Tolstaja nicht zum Genie erhebt, wird mit einem Scheinargument bekämpft: Die Forschung sei heute weiter, das ginge an aktuellen Debatten vorbei. Mit der Forschung ist aber nur die Gender-Forschung gemeint, und von Debatten kann überhaupt keine Rede sein – es handelt sich, wie gezeigt wurde, um eine komplette und einseitige Vereinnahmung eines Autors.
Bereits in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde mit dem erwachenden Feminismus neuer Prägung versucht, eine Autorin gegen einen Autor, mit dem sie verbunden war, nämlich Bert Brecht, aufzuwerten: Marieluise Fleißer. Bekannt wurde sie mit ihren Stücken „Das Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Pioniere in Ingolstadt“. Es ist vorhersehbar, dass heute etwa Elfriede Jelinek die Fleißer als die “bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin” des vergangenen Jahrhunderts bezeichnet, von der sie viel gelernt habe und die ihr wichtiger sei als beispielsweise Brecht – selbstredend. Nur Reich-Ranicki hat es in einem Interview mit der WELTWOCHE gewagt, in der Sache zu differenzieren: „ Man […] kommt mir mit Marieluise Fleißer, der aber Bertolt Brecht mehr als nur über die Schultern geguckt hat. Sie hat nach der Beziehung mit Brecht noch vierzig Jahre gelebt, doch kein Stück mehr zustande gebracht.“ Aber dieser Kritiker ist schon lange von den Medien als frauenfeindlich abgestempelt, was angesichts seines öffentlichen Wirkens – es sei nur die Förderung Frau Hahns erwähnt – und seiner Publikationen – beispielsweise „Frauen dichten anders“ – natürlich nicht stimmt, aber zur Strategie des Genderismus gehört.
Das Stereotyp der „übersehenen“ hochbegabten Frau an der Seite berühmter Männer wird heute in der Geschichtsschreibung aller Kunstsparten gepflegt: Angefangen von Clara Wieck, der Frau Robert Schumanns, geht der Hype um kreative, aber von ihren grobianischen Männern und einer patriarchalischen Nachwelt um den verdienten Ruhm gebrachten Frauen über Camille Claudel, der Geliebten Rodins, bis hin zu Irmgard Keun, der Freundin Joseph Roths, die ebenfalls Ende der 1970er Jahre nach angeblich langen Jahren des Vergessens wiederentdeckt wurde – insbesondere von der feministischen Literaturkritik, die damals entstand. Die notorische Hildegard von Bingen hatte zwar keinen Mann, der sie unterdrücken konnte, aber in den Augen der GenderforscherInnen werden das die Mönche besorgt haben.
Nun ist „Entdecken“ einfach das falsche Wort. All diese Frauen und ihre Leistungen waren ja nie unbekannt. Diese Behauptung stimmt einfach so nicht und ist leicht zu entkräften. Auch Sofja Tolstaja war längst als hervorragende Tagebuchautorin bekannt, ebenso alle anderen hier genannten Frauen in ihren jeweiligen Disziplinen. Doch das soll nicht genügen. Es geht vielmehr um eine Aufwertung dieser Frauen und ihres Werkes um fast jeden Preis. Mag das Œuvre der Frauen objektiv auch noch so winzig sein (woran ja nur der Verzicht zugunsten der Männer oder deren Unterdrückung schuld waren und nicht mangelnde Kreativität), es muss aufgrund seiner angeblich überragenden Qualität kanonisiert werden, was die GenderforscherInnen zu bezwecken zwar leugnen, was aber immanent der Sinn ihrer Veröffentlichungen ist. Mag die zeitgenössische Rezeption der Werke dieser Frauen auch noch so positiv gewesen sein, der zwischenzeitliche Verlust an öffentlichem Interesse und Prestige darf nicht auf einer nachlassenden Vorliebe des Publikums zu möglicherweise zweitrangigen Werken beruhen – er muss ungerecht sein, weil vom „männlichen Blick“ geleitet.
Beispiel Kunstbetrieb
Ein weiterer Beweis dieser These kann mit den Aktivitäten um die „Impressionistinnen“-Ausstellung erbracht werden, die in der Frankfurter Kunsthalle SCHIRN vom 22. Februar bis 1. Juni 2008 unter dem Titel “Impressionistinnen. Morisot Cassatt Gonzalès Bracquemond“ veranstaltet wurde. Die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Ingrid Pfeiffer, liess folgende Ankündigung verbreiten: „Jeder kennt die Namen berühmter Impressionisten – Manet, Monet, Degas, Renoir, Pissarro –, doch weniger bekannt ist, dass es in ihrem Kreis auch bedeutende Malerinnen gibt. Berthe Morisot, erfolgreiche und geschätzte Kollegin, Freundin und Modell von Manet, wird von zeitgenössischen Kritikern wegen ihres lockeren Pinselstrichs als die „impressionistischste unter den Impressionisten“ hoch gelobt. Die Amerikanerin Mary Cassatt entwickelt während ihres Studiums in Paris und durch den engen Kontakt mit Degas ihren unverwechselbaren Stil. Eva Gonzalès hat als Schülerin von Manet ein qualitätvolles, durch ihren frühen Tod jedoch weniger umfangreiches Œuvre hinterlassen. Marie Bracquemond stellt mit den Impressionisten aus, gerät aber in Konkurrenz zu dem Werk ihres Mannes Felix Bracquemond und gibt die Malerei schließlich auf. Die Ausstellung mit etwa 160 Werken aus internationalen Museen und Privatsammlungen wird am Beispiel dieser vier Malerinnen den weiblichen Anteil an der impressionistischen Bewegung präsentieren.“ Wie auch bei den oben erwähnten Schriftstellerinnen fällt die Anlehnung an männliche Künstler auf, woraus an dieser Stelle keine voreiligen Schlüsse gezogen werden sollen.
Max Hollein, Direktor der SCHIRN, blies in dasselbe Horn wie Frau Pfeiffer: “Morisot, Cassatt, Gonzalès und Bracquemond, vier Namen, vier Künstlerinnen, vier Stile, vier Lebensläufe – unsere wichtige Ausstellung hat sich zum Ziel gesetzt, ein bislang wenig bekanntes Kapitel der Kunstgeschichte umfassend zu beleuchten: den weiblichen Beitrag zum Impressionismus, eine Entwicklung, der bis heute eine adäquate, der Qualität und Bedeutung dieser Werke entsprechende Wahrnehmung in einer großen Öffentlichkeit fehlt. Mit dieser Ausstellung gilt es eine ganz besondere, aufregende Facette des Impressionismus zu entdecken.”
Das Erringen der Deutungshoheit
Während Hollein aber noch differenziert formulierte, drückte sich Anja Lösel im STERN (22. Februar 2008) deutlicher aus: „Eine beeindruckende Ausstellung in Frankfurt zeigt, dass die Impressionistinnen oft besser waren als ihre männlichen Kollegen und nichts in ihrem Schatten zu suchen haben.“ Noch klarer wurde der Titel eines internationalen Symposiums formuliert, das im Rahmen der Impressionistinnen-Ausstellung veranstaltet wurde: „Impressionism is feminine – Impressionismus ist weiblich“. Die Kunsthistorikerinnen Tamar Garb, Anna Havemann, Linda Nochlin, Ingrid Pfeiffer, Griselda Pollock und der Künstler Bill Scott diskutierten über verschiedene Forschungsansätze in der feministischen Kunstgeschichte und deren Rolle im aktuellen kunsthistorischen Diskurs. Es sind immer dieselben Fragen und Antworten, die nun folgen.
Wie entsteht der Kanon in der Kunst? Wer bestimmt, welcher Künstler, welche Künstlerin als bedeutend und überliefernswert angesehen wird? Welche Faktoren beeinflussen die Rezeption? Die Impressionistinnen-Ausstellung zeige beispielhaft, wie sehr die Bedeutung der vier Künstlerinnen in ihrer Zeit abweiche von der Beachtung, die sie in der Rezeptionsgeschichte erfuhren. Dass die vier Malerinnen in der Forschung erneut die ihnen gebührende Anerkennung gefunden haben, sei den neuen kunstgeschichtlichen Methoden der 1970er Jahre zu verdanken, vor allem aber Hauptvertreterinnen der feministischen Kunstgeschichte wie Linda Nochlin (Professorin für Moderne Kunst am Institute of Fine Arts, City University of New York), Griselda Pollock (Professorin für „Social and Critical Histories of Art” und Direktorin des Centre for Cultural Analysis, Theory and History, University of Leeds) und Tamar Garb (Professorin für Kunstgeschichte an der University of London). Bereits 1971 habe Linda Nochlin in ihrem Aufsatz „Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben?“ gezeigt, dass bei der Definition von „Größe“ und „Genialität“ von Künstlern sozial und kulturell geprägte Begriffe und nicht objektive Maßstäbe ausschlaggebend seien. Ihrem Ansatz seien weitere Untersuchungen gefolgt, die sowohl beim Werdegang der Künstlerinnen als auch bei der Wahl der Sujets den gesellschaftlichen und kulturellen Kontext mit einbezogen haben und somit zu gänzlich neuen Beurteilungen von Künstlerinnen und ihren Werken gelangt seien.
Im Rahmen des Symposiums wurde außerdem der Frage nachgegangen, warum die Erkenntnisse der feministischen Kunstgeschichte im kunsthistorischen Kanon und in der Ausstellungspraxis in manchen Bereichen immer noch nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Die kontinuierliche wissenschaftliche Bearbeitung des Werks von Mary Cassatt in den USA und die intensive Erforschung ihrer Bedeutung insbesondere für den amerikanischen Impressionismus werfe die Frage auf, inwieweit und aus welchen Gründen sich die Rezeptionsgeschichte in den USA von derjenigen in Europa unterscheidet. Vor allem, kann man schon heute feststellen, unterscheidet sich die amerikanische Universitätsszene von der deutschen dadurch, dass die Genderideologie dort schon vor 30 Jahren Fuß gefasst hat. Es geht bei der eingangs beschriebenen weiblichen Besetzung von relevanten Lehrstühlen um die Zementierung der Deutungshoheit auf diesem Terrain.
Das Stereotyp des „Frauenschicksals“
In der Diskussion um diese Ausstellung kamen die gendertypischen Klagen um „frauenspezifische“ Opfer auf das Tablett, die uns bei der Literatur schon begegnet sind. Enorme Hindernisse seien für die Malerinnen zu überwinden gewesen, ihr Mut im Kampf gegen Vorurteile und Verbote sei enorm gewesen. Mary Cassatt kam aus Amerika nach Paris – und sei der Kunst zuliebe unverheiratet geblieben. Ein Mann, so fürchtete sie, würde ihr das Malen verbieten. Eva Gonzalès, deren Mentor Manet war, starb mit 34 Jahren kurz nach der Geburt ihres Sohnes, kurz darauf heirateten Jeanne und Henri, die Schwester und der Ehemann. Marie Bracquemond habe unter ihrem Ehemann Félix gelitten, denn sie habe sich mit seiner Eifersucht herumschlagen müssen, der selbst Porzellanmaler und Grafiker war und sie als Konkurrentin betrachtet habe. Am Ende habe sie enttäuscht und resigniert die Kunst aufgegeben – “für den Familienfrieden”. Am besten habe es Berthe Morisot getroffen. Sie heiratete Eugène Manet, den Bruder des Impressionisten Edouard Manet. Auch Eugène war Maler, aber er habe seine Frau in ihrer Arbeit unterstützt und ermutigt. So wahr das alles im Einzelfall auch sein kann, so unerträglich ist die Einseitigkeit: Dass Männer an ihren Frauen zugrunde gegangen sein könnten, wird nicht ansatzweise ähnlich thematisiert.
Die Marketingkampagne für diese Ausstellung, also die Propaganda für die Genderkulturpolitik, verhalf der Kunsthalle SCHIRN zu einer Auszeichnung. Der Kulturmarken-Award 2008 wird von der Agentur Causales und dem KulturSPIEGEL für Kulturinstitutionen und -projekte im deutschsprachigen Raum ausgeschrieben. Mit der Auszeichnung fördert die Agentur Causales innovative Marketingideen und professionelle Markenführung in der Kulturlandschaft. Die zehnköpfige Expertenjury aus Wirtschaft, Kultur und Medien begründete ihre Entscheidung für die „Impressionistinnen-Kampagne“ der SCHIRN wie folgt: „Insgesamt haben die innovative Idee, die weibliche Seite des Impressionismus darzustellen, und die konsequente und kreative Umsetzung dieser Idee überzeugt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Die konsequente Umsetzung der zurzeit am besten geförderten Ideologie, also das Schwimmen mit dem Strom, wird auch noch belohnt.
Der eigentliche Zweck: Rechtfertigung für Genderforschung
Die eigentliche Ursache des aktuellen Hypes um die „an den Männern leidenden hochbegabten Frauen im Schatten“ hat aber eine ganz banale Erklärung. Die vielen für Frauen und die Genderforschung geschaffenen Lehrstühle und Forschungsstellen müssen ja auch gerechtfertigt werden. Es muss produziert werden – publish or perish. Deshalb wird jetzt die gesamte Kunst- und Wissenschaftsgeschichte nach Frauen durchforstet, die angeblich oder tatsächlich (die Möglichkeit an sich bestreitet ja niemand) benachteiligt wurden, um sie in den Himmel zu heben. Es bleibt also noch viel zu tun; auf mittlere Sicht wird den GenderforscherInnen (meist sind es Frauen) der Stoff nicht ausgehen. Ihr einziges Thema sind ihre Geschlechtsgenossinnen.
Exemplarisch in dieser Hinsicht ist ein 2009 bei Reclam erschienenes Komponistenlexikon. Unter dem generell sicher bedenkenswerten Aspekt der Aufdeckung von Mechanismen kultureller Selektion wird ein spezieller Aspekt einseitig herausgegriffen: Gender. Die „Meisterwerk“- und „Kanon“-Begriffe werden unter dem Vorwand eines angeblich „demokratischen“ Musikbegriffs diskreditiert, der in Wahrheit relativistisch ist; es wird daher viel von Netzwerken geredet, innerhalb derer alle Beteiligten, insbesondere jedoch die „vergessenen“ Frauen eben doch von größter Wichtigkeit seien. Von kompositorischer Qualität ist nirgendwo mehr die Rede.
Beispiel Universitätsbetrieb / Musik
Die Herausgeberin von Reclams Komponistenlexikon heißt Melanie Unseld. Frau Unseld ist Professorin für Kulturgeschichte der Musik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie hat im Sog der Gleichstellungspolitik Karriere gemacht: Sie schrieb 1999 ihre Promotionsarbeit über das Thema: “Man töte dieses Weib!” Tod und Weiblichkeit in der Musik der Jahrhundertwende. Seit 2005 ist sie stellvertretende Sprecherin der Fachgruppe Frauen- und Genderstudien der Gesellschaft für Musikforschung. Sie ist Mitherausgeberin der Reihe “Europäische Komponistinnen”. Von 2005 bis 2008 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für Historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Hannover (seit 2006 im Forschungszentrum Musik und Gender).
Frau Unseld und Frau Kreutziger-Herr gaben 2010 gemeinsam bei Bärenreiter/Metzler das Buch “Musik und Gender” heraus. Das Thema kommt uns bekannt vor. Aus der Kurzbeschreibung: Sind Genie und Muse komplementäre Begriffe? Wieso werden Instrumente Männlichem oder Weiblichem zugeschrieben? Gibt es besondere Musikorte für Männer und Frauen? Welche Folgen hatte der Ausschluss der Mädchen von zentralen Aspekten des Musikunterrichts seit dem Mittelalter? Werden Vorstellungen von Maskulinität im Heavy Metal bestätigt oder aufgelöst? Auf welche Art werden Geschlechternormen auf der Opernbühne verhandelt? Welche Rollen spielt das Mann- oder Frausein bei der Auswahl, Förderung und Erinnerung im Musikbereich? Gibt es einen Zusammenhang von Musik und Gender für die Bereiche Analyse, Ästhetik und Philosophie?
Immer dieselben Fragen, immer dieselben Antworten. Auch der Lebenslauf von Frau Unselds Mitherausgeberin zeigt die immergleiche Konstante: Gender. Frau Kreutziger-Herr war 1993 und 1994 Frauenbeauftragte des Fachbereichs “Kulturgeschichte und Kulturkunde” der Universität Hamburg. 1998 war sie Jurymitglied zur Vergabe von Arbeitsstipendien der Freien und Hansestadt Hamburg – Kulturbehörde – an Musikerinnen und Komponistinnen. 1998 war sie Mitorganisatorin des Frauenmusikfestivals Espressiva in Hamburg (Schirmherrschaft Christina Weiss, Kultursenatorin). 1999 war sie Initiatorin und Koordinatorin der Tagung “Macht und Männlichkeitswahn: Don Giovanni von W. A. Mozart” an der Evangelischen Akademie in Bad Segeberg. Von 2001 bis 2004 war sie stimmberechtigtes Mitglied der Senatskommission “Frauenförderung” an der Hochschule für Musik und Theater Hannover. Im Oktober 2001 begründete sie das Biographienprojekt “Europäische Komponistinnen”, das Melanie Unseld und sie gemeinsam planen und durchführen – das Frauennetzwerk ist also schon lange stabil. Im Juli 2002 begründete sie die neue Schriftenreihe Musik. Frau. Sprache: Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover.
Beide Frauen, deren Fleiss, Ausdauer und Kompetenz übrigens mit keinem Wort bestritten wird, sind ohne jeden Zweifel clever auf den für sie vielversprechendsten Karrierezug der Zeit aufgesprungen – den der Genderstudien. Sie haben dieses Angebot der Hochschulpolitik für sich maximal genutzt. Nur ein Mensch mit höchsten moralischen Ansprüchen hätte hier nicht opportunistisch gehandelt – faktisch kann ehrlicherweise niemand ihnen ihr Verhalten vorwerfen.
Genderforschung als Fließbandforschung
Um abschließend einen Vergleich zu wagen: Ein solches Verfahren wie die Genderforschung erinnert an die Erfindung eines neuen diagnostischen Gerätes in der Medizin, sagen wir den Ultraschall. Die eigentliche geistige Leistung ist die technische Entwicklung. Für die anwendenden Mediziner bietet sich nun eine fast endlose Möglichkeit zu relativ geistlosen Untersuchungen und daraus entstehenden Publikationen. Ultraschall des Kopfes, Ultraschall der Brust, Ultraschall des Magens, Ultraschall der Gelenke und so weiter – Fließbandforschung. Damit werden neue Sonderforschungsbereiche genehmigt, damit lassen sich wieder für einige Jahre Gelder locker machen, damit lässt es sich hervorragend promovieren und habilitieren. Der Ertrag für die Patienten ist ohne Zweifel da, hätte sich aber auch ohne den Aufwand erzielen lassen. Ähnlich bei Gender. Die kreative Leistung war die Formulierung der Gendertheorie (das heißt nicht, dass sie darum richtig sein muss), jetzt geht es um ihre Ausschlachtung. Es sind darum, um auf die „hochbegabten Frauen im Schatten hochbegabter Männer“ zurückzukommen, eigentlich nicht diese Künstlerinnen, die primär von der neopositivistischen Sammelwut profitieren, sondern die GenderforscherInnen selbst. Wir können noch eine Unzahl an Publikationen zum Thema erwarten, die aber alle nichts wesentlich Neues enthalten werden.
Dieser Beitrag ist eine geänderte Fassung eines in Schlagseite – MannFrau kontrovers (Hrsg. Eckhard Kuhla) beim Klotz-Verlag 2011 erschienenen Textes
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